OLG Koblenz, Beschluss vom 11.12.2018 – 12 U 143/18
Kaufvertrag | arglistige Täuschung | Baugenehmigung
Worum geht es in dem Beschluss?
In erster Instanz wurden die beklagten Verkäufer wegen einer arglistigen Täuschung über eine fehlende Baugenehmigung verurteilt. Hiergegen haben die Beklagten Berufung vor dem OLG Koblenz eingelegt.
Das Berufungsgericht hat die Berufung per Beschluss zurückgewiesen. Die Berufung habe offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
Beachte: Gegen das Berufungsurteil wurden später Rechtsmittel eingelegt. Der BGH hat in seinem Revisionsurteil den Beschluss des OLG Koblenz aufgehoben.
Verfahrensgang:
- Vorgehend: LG Mainz, Urteil vom 15.01.2018, Az. 5 O 265/16
- Nachfolgend: BGH, Urteil vom 06.03.2020, Az. V ZR 2/19.
Die Entscheidung
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 5. Zivilkammer – Einzelrichter – des Landgerichts Mainz vom 15.01.2018 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Mainz und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürfen die gegen sie gerichtete Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 135.057,33 € festgesetzt.
Gründe:
Die Berufung ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats mit Beschluss vom 08.11.2018 (Bl. 256 bis 262 d. A.) Bezug genommen. Die Stellungnahme der Beklagten im Schriftsatz vom 05.12.2018 führt nicht zu einer anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage.
Mit ihrer Klage verlangen die Kläger die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein in …[Z] gelegenes (Wochenend)-Hausgrundstück sowie Ersatz der ihnen im Zusammenhang mit dem Erwerb der Immobilie entstandenen Aufwendungen. Durch sein angegriffenes Urteil, auf welches hinsichtlich der dortigen Feststellungen sowie der erstinstanzlichen Anträge Bezug genommen wird, hat das Landgericht der Klage umfassend stattgegeben.
Im Berufungsverfahren beantragen die Beklagten, unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Mainz vom 15.01.2018 die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagten vertreten in ihrer Stellungnahme (wiederholend) die Auffassung, die Kläger hätten den von ihnen zu führenden Beweis für ein den umfassenden vertraglich vereinbarten Gewährleistungsausschluss durchbrechendes arglistiges Verhalten auf Verkäuferseite nicht geführt.
Der Inhalt der notariellen Kaufvertragsurkunde vom 24.07.2013 könne keinen Beweis erbringen für die im Streit stehenden tatsächlichen Verhältnisse vor Abschluss des Kaufvertrages. Insbesondere sei der Inhalt dieser Urkunde nicht geeignet, die von ihnen -den Beklagtenbestrittene Verletzung von Aufklärungspflichten zu belegen hinsichtlich des seinerzeit bestehenden, ohne bauliche Genehmigung errichteten und zu Wohnzwecken genutzten Anbaus mit einer Fläche von ca. 16,50 qm und im Hinblick auf die vor Abschluss des Vertrages beantragte Nutzungsänderung in eine Motorradgarage.
Diese im Rahmen der Stellungnahme erhobenen Einwände der Beklagten geben dem Senat keine Veranlassung zu einer abweichenden rechtlichen Beurteilung.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Ausgestaltung der notariellen Vertragsurkunde durchaus geeignet, Schlüsse im Hinblick auf die Bewusstseinslage der Parteien im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses und den Inhalt der hierauf gründenden Vereinbarungen zuzulassen.
Für den Inhalt des notariellen Vertrages spricht zunächst die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit im Sinne des § 416 ZPO (BGH ZIP 2002, 1809; BGHZ 20, 109).
Die Partei, die sich – wie hier die Beklagten – auf außerhalb der Urkunde liegende Umstände, sei es zum Nachweis eines vom Urkundentext abweichenden übereinstimmenden Willens der Beteiligten, sei es zum Zwecke der Deutung des Inhalts des Beurkundeten aus Sicht des Erklärungsempfängers (§§ 133, 157 BGB) beruft, trifft die Beweislast für deren Vorliegen.
Der Senat verkennt nicht, worauf er bereits in seinem Beschluss vom 08.11.2018 hingewiesen hat, dass grundsätzlich die Kläger darlegungs- und beweispflichtig sind für das Vorliegen sämtlicher Umstände, die den Arglisttatbestand ausfüllen (BGHZ 188, 43).
Jedoch führt die von § 416 ZPO ausgehende Vermutungswirkung der Vollständigkeit und Richtigkeit insoweit zu einer Umkehr der Beweislastverteilung (vgl. Stein/Jonas-Thole, ZPO, 23. Auflage, § 292 Rn. 5).
Haben die Kläger – wie hier – die sich für ihren Sachvortrag aus der Urkunde ergebende Vermutungsbasis bewiesen, so wirkt die Vermutung bezüglich der hiervon umfassten Tatsachen als Beweislastregel (Stein/Jonas-Thole a. a. O.).
Wählen die Parteien die Schriftform und fixieren und beurkunden sie den Inhalt der mündlichen Absprachen, tritt anstelle des gesprochenen Wortes, das dem Gedächtnis leichter entschwindet und der Gefahr der Missdeutung unterliegt, das Geschriebene und Beurkundete.
Die Niederschrift eines Vertrages ist daher in der Regel als endgültige Zusammenfassung und Festlegung desjenigen zu verstehen, was die Parteien gewollt und als Vertragsinhalt verstanden haben. Was hingegen nicht beurkundet wurde, sollte auch nicht Inhalt der rechtsgeschäftlichen Erklärung sein, sofern nicht die Betroffenen diese Vermutungswirkung entkräften (vgl. RGZ 85, 322).
Gerade vor diesem Hintergrund können die Beklagten nicht mit dem Argument gehört werden, wegen der – nach ihren Behauptungen – im Rahmen der vorvertraglichen Gespräche dezidiert erfolgten Aufklärung über die anstehende Änderung der Nutzungsverhältnisse betreffend einen Teil der verkauften Immobilie sei dieser Umstand nicht (auch noch) explizit in den Notarvertrag aufgenommen worden. Vielmehr hätte es den Beklagten oblegen zu beweisen, dass trotz der Nichtaufnahme in die Vertragsurkunde eine Einigung mit dem von ihnen behaupteten Inhalt zustande gekommen ist. Andernfalls würde ein solcher „Notarvertrag“ – folgte man der Auffassung der Beklagten – sinnentleert werden, weil er nur die Tatsachen enthielte, die vorvertraglich noch nicht zwischen den Parteien geregelt wurden.
In Anwendung der vorgenannten Rechtsgrundsätze ist bereits nach der Urkundenlage davon auszugehen, dass die Beklagten entgegen ihrer Behauptung die Kläger im Vorfeld der notariellen Vertragsbeurkundung nicht über die fehlende baurechtliche Genehmigung betreffend den als Wohnzimmer genutzten Anbau mit einer Fläche von ca. 16,50 qm und über das laufende baubehördliche Genehmigungsverfahren im Hinblick auf die Nutzungsänderung in eine Motorradgarage aufgeklärt haben.
So heißt es in dem notariellen Kaufvertrag des amtlich bestellten Vertreters des Notars Prof. Dr. …[A] vom 24.07.2013 (Anlage K 1) unter Abschnitt B. „Gegenstand des Kaufvertrages“: „Mitverkauft wird die Einbauküche, die Esszimmermöbel, der Rasenmäher, die Sitzgruppe auf der Veranda, die Hollywoodschaukel, der Fernseher aus dem Wohnzimmer (Unterstreichung durch das Gericht), die Stereoanlage…“. Weiter heißt es in Abschnitt F I.: „Sonstige Vereinbarungen“: „Der Grundbesitz wird verkauft in dem Zustand, in dem er sich bei der letzten Besichtigung befunden hat…“ (Unterstreichung durch das Gericht).
Die notarielle Vertragsurkunde enthält insoweit an keiner Stelle einen Hinweis auf die unerlaubte Wohnnutzung des Anbaus und deren (vermeintliche) Offenlegung gegenüber den Klägern sowie hinsichtlich des zu diesem Zeitpunkt von den Beklagten bereits in die Wege geleiteten baubehördlichen Verfahrens über eine Nutzungsänderung.
Soweit die Beklagten in ihrer Stellungnahme zu dem gerichtlichen Hinweis vom 08.11.2018 im Wesentlichen ausführen, der Senat habe in tatsächlicher Hinsicht verkannt, dass nach einem Wegfall der widerrechtlich genutzten Anbaufläche von ca. 16,50 qm als Wohnraum noch eine (Rest-)Fläche verbleibe, die von ihnen, den Beklagten, in der Vergangenheit ebenfalls als Wohnzimmer genutzt worden sei, mit der Folge, dass die Erwähnung des Wohnzimmers im Notarvertrag durchaus seine Berechtigung habe, steht dieser Umstand der vorstehenden rechtlichen Bewertung nicht entgegen.
Zunächst ist zu berücksichtigen, dass sich die im Notarvertrag verwendete Formulierung „dem Wohnzimmer“ ebenso wie die schriftsätzlichen Ausführungen der Beklagten, die hinsichtlich des illegalen Teilbereichs der Immobilie von dem „derzeitigen Wohnzimmer“ (Schriftsatz vom 18.04.2018, Bl. 180 d. A. Abschnitt 2) oder dem „vorhandenen Wohnzimmer“ (Schriftsatz vom 18.04.2018, Bl. 184 d. A. 1. Abschnitt) sprechen, auf einen als einheitlichen Wohnraum zu qualifizierenden Bereich beziehen. Mit dem Versuch, angesichts des Wortlauts der Urkunde im Hinblick auf den Begriff „Wohnzimmer“ semantisch eine (künstliche) Trennung der Räumlichkeiten oder der zu dem Wohnzimmer gehörenden Flächen zu konstruieren, können die Beklagten im Ergebnis nicht durchdringen. Es kann hier letztlich dahinstehen, ob die baulichen Wohnverhältnisse des streitgegenständlichen Kaufobjekts dergestalt waren, dass die ungenehmigte, baurechtswidrig genutzte Fläche von ca. 16,50 qm zusammen mit einem anderen, genehmigten Teil des Wochenendhauses eine Einheit bildete, die optisch als ein Wohnzimmer wahrgenommen wurde, so dass nach Durchführung der Nutzungsänderung weiterhin ein Wohnzimmer mit reduzierter Nutzfläche verblieben wäre, oder ob ursprünglich zwei eigenständige, jeweils als Wohnzimmer genutzte Räume vorhanden waren, von denen einer nach baurechtlich durchgeführter Nutzungsänderung weggefallen wäre.
Jedenfalls verweist die notarielle Urkunde darauf, dass der Grundbesitz in dem Zustand verkauft wird, in dem er sich bei der letzten Besichtigung befunden hat.
Diese Formulierung lässt nur den Schluss zu, dass sich die Parteien dahingehend einig waren, dass das Kaufobjekt in dem bisherigen, von den Beklagten besichtigten Zustand, mit einer Wohnnutzung unter Einschluss der seinerzeit illegal begründeten Wohnfläche des Anbaus, veräußert werden sollte und eine anstehende Änderung dieser Nutzungsverhältnisse nach den beiderseits getroffenen Vereinbarung nicht im Raum stand, jedenfalls zwischen den Parteien nicht besprochen worden war.
Diese sich aus der Vertragsurkunde ergebende Tatsachengrundlage, für deren Richtigkeit und Vollständigkeit die Vermutungswirkung des § 416 ZPO streitet, haben die Beklagten nicht entkräften können.
Der Senat sieht den beklagtenseits zu erbringenden (Gegen-)Beweis dafür, dass eine Aufklärung entgegen dem Inhalt der notariellen Kaufvertragsurkunde stattgefunden hat, nicht als geführt an.
Das Landgericht ist nach durchgeführter Beweisaufnahme zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass es den Beklagten nicht gelungen ist zu beweisen, dass sie die Kläger im Rahmen der vorvertraglichen Verhandlungen wahrheitsgemäß über den baurechtlichen Zustand des Kaufobjekts aufgeklärt haben. Die von dem Landgericht durchgeführte Beweiswürdigung ist insoweit nicht zu beanstanden. Im Berufungsrechtszug ist das Gericht grundsätzlich nicht mehr umfassend zweite neue Tatsacheninstanz. Hinsichtlich der erstinstanzlich durch Beweiserhebung getroffenen Feststellungen ist die Überprüfung gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich darauf beschränkt, ob konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und insoweit eine erneute Feststellung gebieten. Die Beweiswürdigung erster Instanz ist demnach nur insoweit prüfbar, als konkrete Anhaltspunkte erkennbar sind, insbesondere mit der Berufung schlüssig aufgezeigt werden, die Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen dergestalt begründen, dass eine erneute Beweisaufnahme zur Ausräumung dieser Zweifel geboten erscheint.
Ein derartiger Fehler des Landgerichts ist bei der Würdigung der erhobenen Beweise nicht dargetan, aber auch ansonsten nicht ersichtlich. Die Beweiswürdigung durch den Einzelrichter ist umfassend, nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei. Sie verstößt nicht gegen Denk-, Natur- oder Erfahrungssätze und ist insgesamt auch nach der eigenen Würdigung des Senats hinsichtlich des objektiven Aussagegehalts zutreffend.
Hätten die Beklagten den Kläger, wie von Ihnen behauptet, durch Aushändigung des als Anlage B1 (Bl. 28 d. A.) zu der Gerichtsakte gereichten Lageplan von der bevorstehenden Nutzungsänderung in Kenntnis gesetzt, hätte es nahe gelegen, dass sie diesen auch dem notariellen Kaufvertrag als Anlage beigefügt hätten. Dies ist unstreitig nicht geschehen.
Gegen die Darstellung der Beklagten und für die Richtigkeit des von dem Landgericht festgestellten Beweisergebnisses, dass die Kläger vorvertraglich weder über die baurechtswidrige Nutzung des Anbaus noch über das Genehmigungsverfahren für eine Nutzungsänderung unterrichtet wurden, sprechen aber auch die weiteren, aus der Aktenlage objektiv erkennbaren Umstände.
Unrichtig ist hiernach zunächst die in dem Notarvertrag vom 24.07.2013 in Abschnitt F. I „Sonstige Vereinbarungen“ enthaltene Erklärung der Beklagten, dass ihnen „unsichtbare Sachmängel“ nicht bekannt seien. Das Vorbringen der Beklagten als wahr unterstellt, hätte spätestens an dieser Stelle des Kaufvertrages zuvor ein Hinweis auf den baurechtswidrigen Zustand der Wohnsituation erfolgen müssen. Dass dies unterblieben ist, spricht in erheblichem Maße dafür, dass der wahre Zustand des Kaufobjekts von den Beklagten nicht offenbart werden sollte.
Unabhängig von diesem Umstand ist auch die Darstellung der Beklagten, wonach die Initiative für die Beseitigung des illegalen Zustands von dem Zeugen …[C] ausgegangen und die Stellung des Bauantrags bei der Baubehörde Anfang des Jahres 2013 auf dessen Ratschlag zurückzuführen sei, nachweislich unzutreffend.
Tatsächlich hatten die Beklagten, wie die Aussage der in erster Instanz gehörten Zeugin …[B] ergeben hat, bereits im August 2012, mithin zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt, einen entsprechenden Bauantrag gestellt, der jedoch im Januar 2013 abgelehnt wurde, weil die maximal zulässige Bebauungsfläche überschritten war. Ausgangspunkt für die von den Beklagten angestrebte Legalisierung des Anbaus als Motorradgarage war daher -entgegen ihrer eigenen Darstellungkeineswegs der (erst) im Jahr 2013 gefasste Entschluss zur Veräußerung der Immobilie. Anderenfalls wäre die erstmalige Antragstellung im Jahre 2012 nicht verständlich.
Wenn die Beklagten weiter argumentieren, die Kläger hätten die Mitteilung, dass es sich bei dem baurechtswidrig errichteten Anbau um einen illegal zu Wohnzwecken genutzten Teil des Hauses handelte, kommentarlos und gleichgültig entgegengenommen, so erscheint auch dies nicht plausibel. Gerade wenn die Kläger – entsprechend ihrem späteren Vorgehen – beabsichtigten, die als Wochenendhaus errichtete und genehmigte Immobilie entgegen den baulichen Festsetzungen als Dauerwohnsitz zu nutzen, spricht vieles dafür, dass sie ganz besonderen Wert darauf legten, dass die von Ihnen bei den Besichtigungen als Wohnraum wahrgenommene Fläche auch tatsächlich als solche genutzt werden konnte. Selbst wenn bei einem Wegfall der illegal als Wohnraum genutzten Anbaufläche ein (Rest-)Wohnzimmer verblieben wäre, hätte die Nutzungsänderung immerhin zu einer Reduzierung der Wohnfläche von mehr als 19% (zuvor vorhandene Wohnfläche 86,36 qm [69,86 qm + 16,50qm] nach Nutzungsänderung verbliebene Wohnfläche 69,86qm) und damit zu einer wesentlichen Einbuße geführt.
Auch wenn die Beklagten in diesem Zusammenhang als Erklärung für die von ihnen behauptete „gleichgültige“ Hinnahme der mitgeteilten Nutzungsänderung durch die Kläger weiter vortragen, diese hätten darauf vertraut, die dauerhafte Wohnnutzung werde, wie auch in der Vergangenheit, baubehördlich nicht beanstandet werden, so erscheint dies angesichts der von den Beklagten anhängig gemachten Nutzungsänderung nicht nachvollziehbar. Das Vertrauen der Kläger wäre spätestens dann ins Wanken gekommen, wenn sie -wie von den Beklagten vorgetragenerfahren hätten, dass ein Bauantrag anhängig war, mit dem die „aktuelle“ Nutzung als Wohnraum in eine solche als Motorradgarage umgeändert werden sollte. Durch die Einschaltung der Baubehörde war klar, dass diese auf die bestehende Problematik aufmerksam geworden war. Es lag daher nahe, dass behördlicherseits die Umsetzung der von den Beklagten beantragten Änderung vor dem Hintergrund der ungenehmigten Errichtung und jahrelang erfolgten baurechtswidrigen Nutzung des Anbaus kontrolliert worden wäre, und dann die Gefahr bestand, dass auch die von den Klägern beabsichtigte Dauernutzung ans Licht kommen würde. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht nachvollziehbar, wenn die Beklagten behaupten, die Kläger hätten auf die angekündigte Nutzungsänderung mit „Gleichgültigkeit“ reagiert. Auch insoweit sind die Angaben der Beklagten nicht plausibel und es spricht alles dafür, dass die Kläger schlicht keine Kenntnis von den bevorstehenden baurechtlichen Veränderungen hatten.
Nicht zielführend ist auch der Vortrag der Beklagten, die Kreisverwaltung …Y] sei in den vergangenen Jahrzehnten gegen die vielfach erfolgte Dauerwohnnutzung und auch gegen die baurechtswidrige Errichtung von Nebenanlagen nicht eingeschritten. Es stellt sich auch hier die Frage, warum die Beklagten dann trotz dieser Umstände ihrerseits Veranlassung sahen, den Bauantrag für eine Änderung der Nutzung des Anbaus zu stellen. Jedenfalls der von ihnen angeführte Grund, dem Ratschlag des Zeugen …[C] folgend vor dem Verkauf des Hausgrundstücks eine Legalisierung der baulichen Situation herbeizuführen und damit für klare, rechtmäßige Verhältnisse zu sorgen, erscheint mit Blick auf die vorstehend dargelegten Umstände nicht überzeugend.
Die Beklagten können sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Kläger hätten von Anfang an beabsichtigt, sich nicht an die Vorgaben des Bebauungsplans zu halten, wie die Tatsache zeige, dass sie „sehenden Auges“ ihren Erstwohnsitz in ein Wochenendhausgebiet verlegt hätten. Ein Rückschluss dahingehend, dass sich die Kläger auch durch einen ausdrücklichen Hinweis der Beklagten auf die fehlende und auch künftig nicht erreichbare Genehmigung einer weiteren Nutzung des Anbaus zu Wohnzwecken nicht vom Erwerb des Wochenendhauses hätten abbringen lassen, kann hieraus jedenfalls nicht gezogen werden.
So beschränkte sich das von den Klägern bewusst in Kauf genommene Risiko eines „illegalen“ Erstwohnsitzes darauf, dass ihnen bei Entdeckung der widerrechtlichen Dauernutzung diese hätte untersagt werden können und sie dadurch gegebenenfalls zu einem Weiterverkauf des in seinem Wert nicht beeinträchtigten Objektes gezwungen gewesen wären. Die (ihnen bei Abschluss des Kaufvertrages nicht bekannte) künftige Reduzierung der bewohnbaren Fläche um 16,50 m2 hätte indes massive Auswirkungen auf den Wiederverkaufswert des Hauses gehabt, so dass nicht angenommen werden kann, dass die Kläger auch dieses zusätzliche Risiko ohne Weiteres, jedenfalls nicht ohne eine wesentliche Reduzierung des Kaufpreises übernommen hätten.
Nach allem ist weder aufgrund des Ergebnisses der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme noch in Verbindung mit den sonstigen erkennbaren Gesamtumständen von den Beklagten der Beweis geführt, dass sie -entgegen den urkundlich belegten Tatsachen die Kläger vor Abschluss des Kaufvertrages darüber informiert haben, dass der mitverkaufte Anbau baurechtswidrig errichtet und als Wohnraum genutzt wurde.
Die Beklagten haben die Kläger über diese für den Kaufentschluss auch nach ihren Vorstellungen wesentlichen Umstände -nur so ist die prozessuale Darlegung der Beklagten zu erklärenarglistig getäuscht, so dass das Vertragsverhältnis durch Anfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB mit Schreiben vom 23.05.2016 wirksam erloschen ist (§ 142 Abs. 1 BGB). Die Beklagten sind daher zur Rückabwicklung des Kaufvertrages sowie im Wege des Schadensersatzes aus c.i.c. (§§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 280 BGB) zur Erstattung der den Klägern aus Anlass des (nichtigen) Kaufvertrages entstandenen Aufwendungen und Schäden verpflichtet. Deren vom Landgericht zutreffend bestimmte Höhe wird von der Berufung nicht angegriffen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils und dieses Beschlusses erfolgen gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der § 47 GKG bestimmt.
Durch diesen Beschluss wird die Rechtslage zwischen den Parteien geklärt. Unabhängig von dieser Klärung wird den Parteien aber eine einvernehmliche Verständigung hinsichtlich des Vorgehens bei der Rückabwicklung empfohlen, um Weiterungen zu vermeiden. Der Vorschlag der Kläger in deren Schriftsatz vom 10.12.2018 erscheint insoweit eine sinnvolle Verhandlungsgrundlage. Insbesondere erscheint es sinnvoll, wenn ein unmittelbarer Verkauf des Objektes an einen dritten Interessenten gelingen könnte, so dass seitens der Beklagten nur noch ein Differenzbetrag aufzubringen wäre.
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Über den Autor
Rechtsanwalt Christian D. Franz ist Gründer und Inhaber der Kanzlei Franz. Die Kanzlei hat ihren Sitz in Frankfurt am Main und damit im Herzen Deutschlands. Durch die günstige Anbindung an Autobahnen, den Schienenverkehr und den Frankfurter Flughafen ist es der Kanzlei möglich, Mandanten im gesamten Bundesgebiet zu vertreten. Das Immobilienrecht und das Maklerrecht gehören dabei zu den wichtigsten Rechtsgebieten.
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Christian D. Franz, Rechtsanwalt