Was ist Annahmeverzug? Welche Rechte bestehen?

Einleitung
Wer zu einer Leistung verpflichtet ist (Schuldner), ist häufig auf die Mitwirkung desjenigen angewiesen, dem die Leistung zusteht (Gläubiger). Die möglichen Fallgestaltungen reichen von der bloßen Entgegennahme der Kaufsache beim Versandhandel bis hin zur intensiven Zusammenarbeit der Vertragspartner, z.B. bei der Entwicklung und Herstellung maßgeschneiderter Produkte.
Kommt der Gläubiger seiner erforderlichen Mitwirkung nicht nach, tritt nach dem Gesetz unter bestimmten Voraussetzungen Annahmeverzug ein. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die Voraussetzungen und Rechtsfolgen dieses Gläubigerverzugs.
1. Annahmeverzug: Die Voraussetzungen
a) Bestehendes Schuldverhältnis
Annahmeverzug kommt bei jedem Schuldverhältnis in Betracht. Von besonderer Bedeutung und Praxisrelevanz sind die Regelungen zum Annahmeverzug vor allem bei vertraglichen Schuldverhältnissen.
Wichtig: Welche Vertragspartei im Schuldverhältnis als Gläubiger oder Schuldner anzusehen ist, hängt vom konkreten Anspruch ab.
So kann bei einem Kaufvertrag sowohl der Käufer als auch der Verkäufer Gläubiger sein (je nachdem, wer etwas verlangen kann). Die beiden folgenden Beispiele verdeutlichen dies:
Beispiel 1: Herr Peters unterzeichnet in den Geschäftsräumen des Autohauses A einen Kaufvertrag über einen Neuwagen. Laut Vertrag soll Herr Peters das Auto drei Wochen nach Unterzeichnung abholen.
In diesem Fall hat Herr Schmidt als Käufer einen Anspruch auf Übergabe des Wagens. Der Käufer ist also Gläubiger des Herausgabeanspruchs. Die Übergabe ist jedoch davon abhängig, dass Herr Schmidt mitwirkt und das Auto tatsächlich am vereinbarten Ort abholt.
Beispiel 2: Frau Maier kauft ebenfalls ein Auto beim Autohändler A. Nach der Übergabe stellt sich heraus, dass das Fahrzeug einen schweren, nicht behebbaren Mangel aufweist. Frau Maier erklärt daher den Rücktritt vom Kaufvertrag und erhält den Kaufpreis zurück.
Aufgrund des erklärten Rücktritts hat das Autohaus A nun einen Anspruch auf Rückgabe des Fahrzeugs. Das Autohaus als Verkäufer ist Gläubiger des Rückgabeanpruchs. Die Rückgabe ist aber auch hier nur möglich, wenn das Autohaus mitwirkt, d.h. das Fahrzeug und die Fahrzeugpapiere entgegennimmt.
b) Leistungsangebot durch den Schuldner
Voraussetzung für den Annahmeverzug ist, dass der Schuldner dem Gläubiger seine Leistung angeboten hat. Auf welche Weise das Angebot zu erfolgen hat, ist vom Inhalt des jeweiligen Vertrages abhängig.
Unabhängig vom Vertrag genügt ein wörtliches Angebot des Schuldners, „wenn der Gläubiger ihm erklärt hat, dass er die Leistung nicht annehmen werde“ (§ 295 BGB). In diesem Fall wäre ein tatsächliches Angebot (z.B. durch Lieferung von Ware) von vornherein nutzlos und mit unnötigen Mühen und Kosten verbunden.
Ein weiterer wichtiger Fall, bei dem ein rein wörtliches Angebot genügt, ist die Holschuld. Hier genügt es, den Gläubiger zur Abholung aufzufordern.
c) Fälligkeit der angebotenen Leistung
Der Gläubiger kann nur dann in Annahmeverzug geraten, wenn die ihm angebotene Leistung bereits fällig ist. Vor Fälligkeit kann ein Annahmeverzug nicht entstehen.
Beispiel 3: Herr Müller kauft bei der Firma Schmidt eine Einbauküche, die am 15. August geliefert werden soll. Tatsächlich steht die Spedition mit der Einbauküche aber schon am 05. August vor der Tür. Da Herr Müller nicht zu Hause ist, bringt die Spedition die Küche zurück ins Lager.
Da der Lieferanspruch noch nicht fällig ist, gerät Herr Müller nicht in Annahmeverzug.
d) Ordnungsgemäßheit der angebotenen Leistung
Nicht jede Annahmeverweigerung oder unterlassene Mitwirkung führt automatisch zum Annahmeverzug.
Vielmehr muss die vom Schuldner angebotene Leistung ordnungsgemäß sein. So verlangt das Gesetz, dass dem Gläubiger die Leistung „wie sie zu bewirken ist“ angeboten wird (§ 294 BGB).
Annahmeverzug tritt daher nicht ein, wenn der Gläubiger die Annahme verweigert, weil die ihm angebotene Leistung mangelhaft oder unvollständig ist. Mangelhafte Leistungen und nicht vereinbarte Teilleistungen kann der Gläubiger zurückweisen, ohne in Annahmeverzug zu geraten.
⚠ Wichtig: Es kommt nicht darauf an, ob die angebotene Leistung erheblich oder nur unwesentlich von der geschuldeten Leistung abweicht. Der Gläubiger kann die Annahme auch dann verweigern, wenn nur ein unerheblicher Mangel vorliegt.
d) Unterlassung der Annahme
Letzte Voraussetzung des Annahmeverzugs ist, dass der Gläubiger die ihm angebotene Leistung nicht annimmt oder eine erforderliche Mitwirkung unterlässt (§ 293 BGB).
Das Unterlassen der Annahme ist rein „negativ“ zu verstehen. Es genügt, wenn sich der Gläubiger rein passiv verhält.
Im obigen Beispiel 1 kommt der Käufer also in Annahmeverzug, wenn er das vom Verkäufer bereitgestellte mangelfreie Fahrzeug nicht wie vereinbart abholt.
⚠ Wichtig: Beim Annahmeverzug kommt es nicht auf ein Verschulden des Gläubigers an! Auch wenn der Gläubiger die Nichtabnahme nicht zu vertreten hat, kann er in Annahmeverzug geraten.
2. Was sind die Rechtsfolgen des Annahmeverzugs?
Durch den Eintritt des Annahmeverzugs verliert der Gläubiger nicht automatisch seinen Anspruch auf die geschuldete Leistung. So bleibt beispielsweise der Verkäufer zur Übergabe und Übereignung der Kaufsache verpflichtet.
Das Gesetz sieht jedoch vor, dass sich die Rechtsstellung des Schuldners während des Annahmeverzugs erheblich verbessert. Die wichtigsten Punkte sind:
- Verbesserte Haftung des Schuldners.
- Anspruch auf Aufwendungsersatz.
- Recht zu Versteigerung und Verkauf.
- Recht zur Besitzaufgabe.
a) Haftungsmilderung und Leistungsgefahr
Grundsätzlich haftet der Schuldner bereits bei leichter Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 1 BGB). Befindet sich der Gläubiger jedoch im Annahmeverzug, ordnet das Gesetz eine reduzierte Haftung an. Der Schuldner haftet nur noch für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (§ 300 Abs. 1 BGB).
Hinter dieser Haftungserleichterung steht die Überlegung, dass der Schuldner weiterhin zur Leistung verpflichtet bleibt und übermäßig belastet würde, wenn er weiterhin auch schon für leichte Fahrlässigkeit haften müsste.
⚠ Wichtig: Durch den Annahmeverzug geht damit auch die sog. „Leistungsgefahr“ auf den Gläubiger über. Damit ist gemeint, dass der Gläubiger z.B. für den Verlust oder die Beschädigung der Kaufsache einstehen muss (es sei denn, es liegt grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz des Schuldners vor).
Beispiel 4: Herr Müller kauft bei der Firma Schmidt einen Schrank, der am 15. August geliefert werden soll. Als die Spedition am 15. August vor der Tür steht, ist Herr Müller nicht anwesend, weil er den Termin vergessen hat. Die Spedition fährt deshalb mit dem Schrank zurück ins Lager. Unterwegs kommt es jedoch zu einem unverschuldeten Unfall, bei dem der Schrank beschädigt wird.
Da sich Herr Müller im Annahmeverzug befindet, haftet er für den Schaden. Er muss den vollen Kaufpreis zahlen und erhält im Gegenzug nur den beschädigten Schrank.
b) Aufwendungsersatz
Vor allem bei Kaufverträgen ist der Anspruch auf Aufwendungsersatz von großer Bedeutung.
Wegen der fortbestehenden Leistungspflicht befindet sich der Schuldner in der misslichen Lage, die Sache bis zur Abnahme durch den Gläubiger aufbewahren zu müssen. Gerade bei hochwertigen Produkten muss die Sache auch besonders gepflegt, gewartet oder versichert werden. Die Sache darf also nicht einfach entsorgt und in dem Müll geworfen werden.
Für die dadurch entstehenden Lagerkosten und sonstigen Aufwendungen sieht das Gesetz daher vor, dass der Gläubiger dem Schuldner die erforderlichen Aufwendungen zu ersetzen hat (§ 304 BGB).
Es ist auch möglich, dass der Schuldner die Sache bei einem Dritten lagert und die Kosten dem Gläubiger in Rechnung stellt. Voraussetzung ist nur, dass die Kosten notwendig waren.
Wichtig: Kaufleute haben auch bei Lagerung im eigenen Lager Anspruch auf Lagergeld (§ 354 HGB).
c) Versteigerung und Verkauf der Sache
Für viele Kaufgegenstände sieht das Gesetz vor, dass der Schuldner die Sache öffentlich versteigern lassen darf. Einzelheiten dazu regelt § 383 BGB.
Durch die Versteigerung verliert der Gläubiger seinen Anspruch auf Herausgabe der Sache. Gleichzeitig bleibt er aber zur Zahlung des Kaufpreises verpflichtet. Der durch die Versteigerung erzielte Erlös wird selbstverständlich angerechnet.
Ein freihändiger Verkauf ist dagegen nur im Ausnahmefall zulässig (sog. „Selbsthilfeverkauf“). Voraussetzung ist insbesondere, dass die Sache einen Börsen- oder Marktwert hat.
d) Recht zur Besitzaufgabe bei Grundstücken
Ist der Schuldner zur Herausgabe eines Grundstücks verpflichtet, kommt eine Versteigerung nicht in Betracht. Solange der Schuldner im Besitz des Grundstücks ist, müsste er für die notwendigen Kosten aufkommen und insbesondere alle Verkehrssicherungspflichten erfüllen.
Um den Schuldner zu entlasten, sieht das Gesetz daher vor, dass der Besitz an dem Grundstück und der Immobilie aufgegeben werden darf. Die Besitzaufgabe muss dabei in aller Regel vorher angedroht werden (§ 303 BGB).
Das Recht zur Besitzaufgabe gilt für verschiedene Schuldverhältnisse.
Von Bedeutung ist es z.B. bei der Rückgabepflicht des Mieters oder Pächters nach Beendigung des Miet- oder Pachtverhältnisses. Kommt der Vermieter bzw. Verpächter mit der Rücknahme in Verzug, kann der Mieter bzw. Pächter (nach Angrohung) den Besitz an der Sache aufgeben.
Anwendbar ist § 303 BGB daneben auch auf Kaufverträge. Denkbar ist z.B., dass der Kaufvertrag durch Anfechtung oder Rücktritt unwirksam wird und der Verkäufer zur Rücknahme verpflichtet ist. Scheitert die Übergabe dann am Verzug des Verkäufers, darf der Käufer nach vorheriger Androhung den Besitz an der Immobilie und am Grundstück aufgeben.
3. Ende des Annahmeverzuges
Die verbesserte Rechtsstellung des Schuldners entfällt, sobald der Annahmeverzug nicht länger vorliegt. Dabei endet der Annahmeverzug, wenn der Gläubiger seine ernsthafte Bereitschaft erklärt, die Leistung anzunehmen bzw. seine Mitwirkungshandlung vorzunehmen.
Wichtig: Verweigert der Gläubiger aber den von ihm geschuldeten Aufwendungsersatz, bleibt der Annahmeverzug bestehen. Dies liegt daran, dass der Schuldner ein sog. Zurückbehaltungsrecht erworben hat (§§ 273, 298 BGB).
4. Schluss
Fragen rund um den Gläubigerverzug können sehr bedeutsam sein und schnell kostspielig werden. Alle Beteiligten am Schuldverhältnis sollten daher die nächsten Schritte sorgfältig planen und sich gegebenenfalls rechtlich absichern.
© Rechtsanwalt C.D. Franz
Der Beitrag dient lediglich der allg. Information, ist nicht abschließend und wird nicht fortlaufend aktualisiert. Eine Rechtsberatung findet hierdurch nicht statt.
KONTAKT
» Rechtsanwalt Christian D. Franz
» Beethovenstraße 2
» 60325 Frankfurt am Main
» Tel.: 069 / 348 742 380
» Fax: 069 / 348 742 389
» E-Mail: info@kanzlei-franz.com
SERVICE
Beratung per Telefon, Email oder vor Ort.
Termine innerhalb von 48 Stunden.
Termine auch am Wochenende.
Ratenzahlung vereinbar.
Anwalt gesucht?
Sie benötigen einen Anwalt für Vertragsrecht? Gerne können Sie zu Rechtsanwalt Franz unverbindlich Kontakt aufnehmen!
Ähnliche Beiträge zum Kauf- und Maklerrecht
Über den Autor
Rechtsanwalt Christian D. Franz ist Gründer und Inhaber der Kanzlei Franz. Die Kanzlei hat ihren Sitz in Frankfurt am Main und damit im Herzen Deutschlands. Durch die günstige Anbindung an Autobahnen, den Schienenverkehr und den Frankfurter Flughafen ist es der Kanzlei möglich, Mandanten im gesamten Bundesgebiet zu vertreten. Das Immobilienrecht und das Maklerrecht gehören dabei zu den wichtigsten Rechtsgebieten.
Ich würde mich freuen, von Ihnen zu hören!
Christian D. Franz, Rechtsanwalt