LG Hannover, Urteil vom 13.08.2008, Az. 10 S 1/08
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 28.11.2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hannover – 549 C 14966/06 – teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Das Versäumnisurteil vom 24.01.2007 wird aufrechterhalten, soweit der Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin 1.026,15 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 08.12.2006 zu zahlen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs der Marke BMW 316 i Coupé mit dem amtl. Kennzeichen X-XX XX, Fahrgestell-Nr. … .
Der Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin 100,- Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.09.2007 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs der Marke BMW 316 i Coupé mit dem amtl. Kennzeichen X-XX XX, Fahrgestell-Nr. … zu zahlen.
Das Versäumnisurteil vom 24.01.2007 wird weiter aufrechterhalten, soweit festgestellt wird, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von Ansprüchen der … im Zusammenhang mit dem zur Finanzierung des Fahrzeugs aufgenommenen Darlehensvertrag, Finanzierungs-Nr. 1107932750 in Höhe von 1.129,77 Euro freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage unter Aufhebung des Versäumnisurteils abgewiesen.
Die Berufung der Klägerin im Übrigen und die Anschlussberufung des Beklagten werden zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten seiner Säumnis im Termin am 03.01.2007. Die Kosten im Übrigen beider Instanzen tragen die Klägerin zu 56 % und der Beklagte zu 44 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien dürfen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht jeweils die Gegenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin erwarb von dem Beklagten, einem Kraftfahrzeughändler, gem. schriftlichem Kaufvertrag vom 09.05.2005, Bl. 11 d.A., ein gebrauchtes Fahrzeug BMW 316 i, Baujahr 1994, mit einem Kilometerstand von 174.500 zu einem Kaufpreis von 4.100,- Euro. Im Kaufvertragsformular sind angekreuzt: Unfallschaden bekannt, Rahmenschaden und Blechschaden. Die Klägerin finanzierte das Fahrzeug über die … Das Fahrzeug war unfallbeschädigt. Es hatte einen Rahmenschaden, weitere Mängel waren vorhanden. Zudem war es mit Teilen ausgestattet, die nicht TÜV-zugelassen waren. Die Klägerin fuhr das Fahrzeug 36.000 km und legte es dann still.
Die Klägerin behauptet, über Unfallschäden des Fahrzeugs sei zu keinem Zeitpunkt gesprochen worden. Das Fahrzeug sei ohne eine Probefahrt gekauft worden. Sie erklärt, sie trete vom Kaufvertrag zurück. Sie hat an die finanzierende Bank insgesamt 1.126,15 Euro gezahlt und dann im Einvernehmen mit der Bank zunächst die Zahlungen eingestellt.
Auf Antrag der Klägerin ist gegen den Beklagten Versäumnisurteil ergangen auf Zahlung von 1.026,15 Euro – die Klägerin hatte zunächst vorgetragen, nur diesen Betrag gezahlt zu haben – nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs sowie auf Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet sei die Klägerin von Ansprüchen aus dem Finanzierungsvertrag freizustellen. Gegen das Versäumnisurteil hat der Beklagte fristgerecht Einspruch eingelegt.
Die Klägerin hat ihr Begehren weiterverfolgt. Sie hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie unter Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils 1.126,15 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs der Marke BMW 316 i Coupé mit dem amtl. Kennzeichen X-XX XX, Fahrgestell-Nr. … ,
sowie festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von sämtlichen Ansprüchen … freizustellen im Zusammenhang mit dem zur Finanzierung des Fahrzeuges aufgenommenen Darlehensvertrag, Finanzierungs-Nr. 1107932750.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage unter Aufhebung des Versäumnisurteils abzuweisen.
Er hat auf den im schriftlichen Kaufvertrag festgehaltenen Gewährleistungsausschluss verwiesen und darauf, dass formularmäßig auf Schäden hingewiesen worden ist. Darüber hinaus hat er behauptet, bei den Vertragsverhandlungen sei die Klägerin im Einzelnen auf die Unfallschäden hingewiesen worden. Der Beklagte hat weiter die Auffassung vertreten, die Klägerin müsse sich im Hinblick auf die gefahrenen 36.000 km eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen.
Das Amtsgericht hat Beweis erhoben über den Hergang der Verkaufsgespräche durch Vernehmung der Zeugen … und … Alsdann hat das Amtsgericht der Klage unter teilweiser Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils in Höhe von 1.026,15 Euro Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, zur Zahlung von weiteren 100,- Euro Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs sowie bezüglich der beantragten Freistellung in Höhe von 51,08 Euro teilweise stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der formularmäßige Gewährleistungsausschluss und die formularmäßigen Hinweise seien unwirksam. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei bewiesen, dass der Beklagte nicht bei den Vertragsverhandlungen konkret auf Mängel hingewiesen habe. Die Klägerin müsse sich eine Nutzungsentschädigung von etwa 0,08 Euro je gefahrenen Kilometer entgegenhalten lassen. Der Freistellungsanspruch sei nicht mit hinreichender Substanz vorgetragen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie vertritt die Auffassung unter Hinweis auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 17.04.2008, sie schulde überhaupt keine Nutzungsentschädigung. Dies auch deshalb, weil das Fahrzeug allein von ihrem damaligen Freund bewegt worden sei. Der Beklagte habe auch zu keinem Zeitpunkt mit einem Anspruch auf Nutzungsentschädigung die Aufrechnung erklärt. Schließlich sei die vom Amtsgericht festgelegte Nutzungsentschädigung weit übersetzt im Hinblick auf das Alter des Fahrzeugs und die zu erwartende Laufleistung.
Die Klägerin verfolgt auch ihren Freistellungsanspruch weiter.
Sie beantragt,
unter teilweiser Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Hannover das Versäumnisurteil vom 24.01.2007 aufrechtzuerhalten und darüber hinaus den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin einen weiteren Betrag von 100,- Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.09.2007 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs der Marke BMW 316 i Coupé mit dem amtl. Kennzeichen X-XX XX, Fahrgestell-Nr. … zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Er schließt sich der Berufung an mit dem Antrag,
unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts und Aufhebung der Versäumnisurteils die Klage insgesamt abzuweisen.
Er greift die Beweiswürdigung des Amtsgerichts an und vertieft im Übrigen seinen erstinstanzlichen Vortrag.
Wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das angefochtene Urteil verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg, die Anschlussberufung ist unbegründet. Das Amtsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin gem. § 323 Abs. 1 BGB vom Vertrag zurücktreten durfte, weil ein Mangel i.S.d. § 437 Nr. 2 BGB vorlag. Ohne Rechtsfehler hat das Amtsgericht festgestellt, dass der im schriftlichen Vertrag festgehaltene Gewährleistungsausschluss unwirksam ist (§ 475 Abs. 1 BGB) und dass auch § 442 Abs. 1 BGB den Rechten der Klägerin nicht entgegensteht. Die pauschale Beschreibung von Unfallmängeln durch ankreuzen von formularmäßigen Rubriken im Kaufvertrag reicht nicht aus. Ohne Rechtsfehler hat das Amtsgericht auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme auch festgestellt, dass der Beklagte nicht bei den Vertragsverhandlungen ausdrücklich konkret auf einzelne Mängel hingewiesen hat. Die Angriffe der Berufung auf die Beweiswürdigung des Amtsgerichts gehen fehl. Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts ist in sich stimmig, frei von Verstößen gegen Denkregeln und im Übrigen auch nach Auffassung der Kammer naheliegend und sehr gut nachvollziehbar.
Die Rechtsfolgen des Vertragsrücktritts ergeben sich aus § 346 Abs. 1 BGB. Die Klägerin kann danach dasjenige verlangen, was sie geleistet hat. Das sind zunächst die Zahlungen an die finanzierende Bank in Höhe von unstreitig 1.126,15 Euro. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist die Klägerin aber auch berechtigt, vom Beklagten Freistellung zu verlangen, denn die Klägerin ist so zu stellen, als wäre der Vertrag mit dem Beklagten niemals abgeschlossen worden. Dann wären keine Verbindlichkeiten gegenüber der Bank entstanden. Unbestritten besteht noch ein Zahlungsrückstand von 4.052,54 Euro gegenüber der Bank. Zum Grunde besteht insoweit ein Freistellungsanspruch der Klägerin.
Dieser ist jedoch zu mindern um die Gebrauchsvorteile, die die Klägerin aus der Nutzung des Fahrzeugs hat ziehen können. Diese Gebrauchsvorteile muss sich die Klägerin anrechnen lassen, ohne dass es insoweit einer ausdrücklichen Aufrechnungserklärung durch den Beklagten bedurft hätte. Denn der Rückzahlungsanspruch bzw. Freistellungsanspruch der Klägerin mindert sich unmittelbar um die gezogenen Gebrauchsvorteile. Unerheblich in diesem Zusammenhang ist auch, dass die Klägerin nach ihrem Vortrag das Fahrzeug nicht selbst benutzt hat, sondern das ihr damaliger Freund das Fahrzeug fuhr. Im Rahmen der Rückabwicklung des Vertrages muss sich die Klägerin diese Gebrauchsvorteile anrechnen lassen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin steht die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 17.04.2008 – C – 404/06 – der Anrechnung der Nutzungsentschädigung nicht entgegen. Der Europäische Gerichtshof hat nämlich lediglich entschieden, dass die nationale Vorschrift des § 346 BGB der Richtlinie 1999/44/EG der Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999 widerspricht, soweit es um Nachbesserung und Austausch eines vertragswidrigen Verbrauchsguts geht (Anm. 34). Lediglich für diesen Fall verstößt § 346 BGB gegen höherwertiges europäisches Recht und ist deshalb unwirksam. Der vorliegende Fall der Vertragsauflösung ist vom Europäischen Gerichtshof gerade nicht entschieden worden. Der EUGH unterscheidet diese beiden Fälle.
Dementsprechend gilt § 346 BGB im vorliegenden Fall. Eine analoge Anwendung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs kommt nicht in Betracht, weil der Europäische Gerichtshof klar die Abgrenzung der möglichen Fälle gesehen hat und für den vorliegenden Fall gerade keine Entscheidung getroffen hat.
Ohne Rechtsfehler hat das Amtsgericht die Höhe der Nutzungsentschädigung auf 0,08 Euro pro Kilometer festgesetzt. Diese Schätzung hält sich im Rahmen der von § 287 ZPO vorgegebenen Grenzen. Unter Berücksichtigung der – hohen – Laufleistung des Fahrzeugs zu Besitzzeiten der Klägerin von 36.000 km ergibt sich so eine anzurechnende Nutzungsentschädigung in Höhe von 2.922,77 Euro. Der Klägerin ist zuzugeben, dass jedwede Schätzung gerade bei alten Fahrzeugen auf unsicherer Basis erfolgen muss und das sich die vom Amtsgericht angenommenen 0,08 Euro je Kilometer im oberen Bereich dessen bewegen, was vertretbar ist. Im Berufungsverfahren sieht die Kammer aber keine Möglichkeit, ihr eigenes Ermessen an Stelle des Ermessens des Amtsgerichts zu setzen, solange ein Verstoß nach § 287 ZPO nicht festzustellen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 344 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gründet sich auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Kammer hat die Revision zugelassen, weil, soweit ersichtlich, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage vorliegt, ob (auch) für Fälle der vorliegenden Art § 346 BGB gegen europäisches Recht verstößt.
Worum geht es in dem Urteil?
Im vorliegenden Urteil hatte das Landgericht über einen Rücktritt des Käufer zu entscheiden. Daneben ging es insbesondere um den Anspruch des Verkäufers auf Nutzungsersatz. Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt. Siehe dazu BGH vom 16.09.2009, Az. VIII ZR 243/08.
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